nuclearawareness

"Remember your humanity..."

Einsteins humanistisches Vermächtnis ist noch immer aktuell

Joseph Rotblat


Im Einstein-Jahr 2005 feiern wir den hundertsten Geburtstag der Veröffentlichung von Albert Einsteins wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckungen, die unsere Auffassungen von Raum und Zeit, von Masse und Energie radikal verändert haben. Albert Einsteins Ruhm und einzigartige Stellung in der Welt verdankt er vor allem seinen wissenschaftlichen Entdeckungen. Viel weniger ist über seine politischen Aktivitäten bekannt: seine Kampagnen gegen den Krieg und sein Eintreten für eine Weltregierung. Neben der Wissenschaft waren ihm diese Aktivitäten jedoch am Wichtigsten, und er widmete ihnen bis zum Ende seines Lebens viel Zeit.

Einstein starb vor fünfzig Jahren, am 18. April 1955, und eine seiner letzten Handlungen bestand darin, gemeinsam mit Bertrand Russell und neun anderen Wissenschaftlern eine Stellungnahme zu unterzeichnen, die als Russell-Einstein-Manifest bekannt wurde.) Das Manifest rief Regierungen, Wissenschaftler und die breite Öffentlichkeit auf, der Bedrohung für die Menschheit, die im Atomzeitalter entstanden war, Beachtung zu schenken.

Einstein, der größte Wissenschaftler aller Zeiten, war auch ein großer Humanist. Er hatte eine enorme Achtung vor den Menschenrechten, und seine tiefe Sorge über die Zukunft der Menschheit drückte sich in dem Manifest als Frage aus, als eine sachliche, grausame und unausweichliche Frage:
"Sollen wir der Menschheit ein Ende setzen, oder soll die Menschheit dem Krieg entsagen?"

Fast alle Unterzeichner waren Nobelpreisträger. Ich bin der letzte Unterzeichner des Manifests, der noch am Leben ist. Daher betrachte ich es als meine Pflicht, ja, als meine Mission, während der Tage, die mir noch bleiben, der Öffentlichkeit die Frage in Erinnerung zu rufen, der wir fünfzig Jahre später immer noch gegenüber stehen; in mancher Beziehung ist die Gefahr für die Menschheit in den letzten Jahren sogar größer geworden.

Am 26. Dezember 2004 wurden wir von einer Naturkatastrophe heimgesucht, einem Erdbeben mit einem nachfolgenden Tsunami, das zum Verlust vieler Menschenleben und der Zerstörung der Lebensgrundlagen von noch viel mehr Überlebenden geführt hat. Es war erhebend und sehr bewegend, die großzügige Antwort der Öffentlichkeit auf die Hilfeaufrufe zu beobachten. In erster Linie wäre es aber natürlich viel besser, wenn solche Katastrophen verhindert werden könnten. Bislang steht nur sehr wenig in unserer Macht, um solchen Naturkatastrophen vorzubeugen, aber eine Katastrophe durch Menschenhand wie den Einsatz von Atomwaffen können wir verhindern. Eine einzige Bombe, die Terroristen oder die Armee eines Landes über einer unserer Städte einsetzen würde, würde unvorstellbare Zerstörung hervorrufen. Und die Arsenale von einigen Ländern enthalten tausende nukleare Sprengköpfe, jeder mit einer Zerstörungskraft, die mindestens zehnmal größer ist als die der Bombe von Hiroshima.

In unserer voneinander abhängigen Welt kann ein Krieg, der irgendwo auf dem Globus beginnt, uns wo immer wir sind verschlingen. Ein mit konventionellen Waffen begonnener Krieg kann in einen nuklearen Krieg eskalieren. Diese Gefahr wird solange bestehen, wie sich Atomwaffen in den Arsenalen befinden.

Die Gefahr wurde vor langer Zeit erkannt, und sie schlug sich in einem internationalen Vertrag, dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Non-Proliferation Treaty, NPT), nieder, der von fast allen Staaten unterzeichnet wurde. Gemäß diesem Vertrag sind die Vereinigten Staaten von Amerika, China, Frankreich, Russland und das Vereinigte Königreich - die offiziellen Atomwaffenstaaten - ausdrücklich und eindeutig verpflichtet, eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen. Bis heute haben diese Staaten ihre Verpflichtungen nicht erfüllt. Der NPT wird im Mai dieses Jahres in New York überprüft und es ist äußerst wichtig, dass bei dieser Konferenz die Stimme derjenigen Menschen und ihrer Vertreter gehört werden, die die Implementierung des Artikels VI einfordern; dieser verlangt die Abschaffung der Atomarsenale.

In diesem Nuklearzeitalter können wir es uns nicht länger leisten, unsere Konflikte mit militärischer Konfrontation zu lösen. Die Warnung des Schlussparagraphen des Russell-Einstein-Manifests ist heute so gültig wie damals:

"Vor uns liegt, wenn wir es wählen, stetiger Fortschritt in Glück, Wissen und Weisheit. Sollen wir stattdessen den Tod wählen, weil wir unseren Streit nicht vergessen können? Wir appellieren, als Menschen, an Menschen: Denkt an eure Menschlichkeit und vergesst den Rest. Wenn Euch das gelingt, öffnet sich der Weg zu einem neuen Paradies; wenn es Euch nicht gelingt, so liegt vor euch die Gefahr des allumfassenden Todes."

(Meinungsbeitrag von Sir Joseph Rotblat" für das Physik Journal Vol. 4, 2005 S. 3)

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